Dienstag, 12. August 2014

Piece of memory

Der Gefesselte -„Den Opfern für Wahrheit und Freiheit“



Wahrheit und Freiheit, zwei Begriffe, die sich sehr leicht verknüpfen lassen.
Wahrheit steht für die Übereinstimmung der Wirklichkeit & Freiheit beschreibt die Fähigkeit des Menschen aus eigenem Willen Entscheidungen zu treffen. Nun werden sich meine und ihre Gedanken mit Ereignissen füllen, die diese beiden Begriffe stützen. Doch was wir schon ahnen können ist, dass unsere Gedanken eventuell nicht übereinstimmen. Warum ist das so?
Diese Begriffe sind beide so weit gefasst, dass jeder eigene Vorstellungen hat.
Wie weit diese Vorstellungen reichen können, kann man durch ein leichtes „Experiment“ zeigen. Ein Experiment, das ich mit Studenten durchgeführt habe. Alle bekamen als Auftrag einen Zettel mit der Aufforderung: „Den Opfern für Wahrheit und Freiheit“ ein Denkmal zu setzen. Schnell wurde offensichtlich, dass jeder sich etwas anderes darunter vorstellt. Fraglich wurde grundlegend: Wem soll den überhaupt gedacht werden?
Folgende Skizzen stellen einige Ideen der Studenten dar:


















Wie ich diese Frage überhaupt beantworten soll, blieb unklar. Unklar, aufgrund der Tatsache, dass sich hinter diesem Satz nicht nur ein Ereignis verbirgt. Es sind mehrere Ideen und Ereignisse, die mit dem Denkmal zum Ausdruck gebracht werden soll. Um einen Schritt weiter zu kommen, galt es die Ereignisse zu klären, die mit dem real existierenden Denkmal für die Opfer von Wahrheit und Freiheit zum Ausdruck gebracht werden sollen.

Zunächst einmal soll sich das Denkmal auf die Ereignisse vom 20.Juli.1944 beziehen. Ein Tag, der in die deutsche Geschichte einging. Es war das (gescheiterte) Attentat auf Adolf Hitler, auch bekannt unter dem Namen Operation Walküre. An diesem Tag versuchten eine Handvoll Offiziere, darunter Claus Schenk von Stauffenberg, Hitler durch eine Bombe zu töten. Ziel der ganzen Aktion war es, Deutschland vom Nationalsozialismus zu befreien. Wie schon erwähnt, scheiterte das Attentat auf Hitler. Stattdessen folgte eine unvorstellbare Grausamkeit, die gegen die Verschwörer und (unschuldigen) Angehörigen ausgeübt wurde. Hierzu zählten Mord, Folter, Verfolgung und Vernichtung jedes Andenkens.  Mit der Begründung: "...das Blut ist schlecht, da ist Verräterblut drin, das wird ausgerottet“ wurden die Angehörigen ermordet. Darunter waren auch 52 Osnabrücker, die bei der Aktion „Gewitter“ verhaftet wurden. Nun scheint es recht einfach das Denkmal mit dem Ereignis in Verbindung zu setzten. Doch wie schon erwähnt war Anlass zur Entstehung nicht nur ein Ereignis.

Das Zweite war der Arbeiteraufstand vom 17.Juni. 1953. Es war nämlich so, dass in der ehemaligen DDR Unzufriedenheit herrschte. Denn während es Westdeutschland recht gut ging, klagten die Menschen der DDR über schlechte Arbeits- und Lebensbedingungen. Mit der Erhöhung der Arbeitsnorm wurde das Maß voll und es kam zu Demonstrationen und Streiks. Auch hier ließ die Vergeltung nicht lange auf sich warten und es folgten, mit der Unterstützung von Russen, Festnahmen, Verurteilungen und Ermordungen.
Dies waren die zwei Hauptereignisse, die für die Entstehung eines Denkmals ausschlaggebend waren. Zwei Ereignisse, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Wenn wir allein nur auf die Zeit schauen. Neun Jahre liegen auseinander. Die Umstände von 1944 und 1953 waren Welten voneinander entfernt. Während die einen mit dem Nationalsozialismus zu kämpfen hatten, waren die Lebensbedingungen bei den Anderen ein ausschlaggebender Faktor.

Doch so sollte es sein. Basierend auf diesen Ereignissen hatte sich die Stadt Osnabrück ein Denkmal vorgestellt. Obwohl die künstlerische Umsetzung schwer erschien, gab es doch einen Künstler, der sich damit auseinandersetzte. Dieser Künstler war Gerhard Marcks. Geboren am 18. Februar 1889 in Berlin und gestorben am 13.November 1981 zählte er zu den bekanntesten deutschen Bildhauern und Grafikern. Wie viel Potenzial man seiner Kunst zusprach, erkennt man daran, dass er für die Olympischen Spiele 1972 in München die Rückseite der Medaillen gestalten durfte.

Schon einige Jahre bevor Marcks mit dem Auftrag konfrontiert wurde, wollte man den Opfern von Diktaturen ein Denkmal setzen. Zur Verwirklichung kam es jedoch nur einige Jahre später unter dem Eindruck des Mauerbaus. 1961 beriet sich der Stadtrat von Osnabrück, unter dem Thema, an das geteilte Deutschland zu gedenken. Damit sollte die Zusammengehörigkeit der Deutschen aufgezeigt werden. Es folgte der Beschluss:“In einer Zeit brutaler Verletzung der Menschenwürde, durch staatliche Gewalt, beschließt der Rat der Stadt Osnabrück, das Andenken jener Männer und Frauen zu ehren, die ihr Leben gaben im Aufstand gegen die Verhöhnung des Rechts und die Unterdrückung der Freiheit.“ Weiterführend so heißt es sollte ein „ ...einfaches Mahnmal, das der Bedeutung der Ereignisse entspricht ...“ errichtet werden.


Dieses Mahnmal ist vom Bildhauer Gerhard Marcks und trägt den Namen „der Gefesselte“. Es ist eine etwa 4,50 m hohe, 1,30 m breite und 1,50 m tiefe Skulptur in Osnabrück. Sie wurde aus dem Material Basalt gehauen. Dies ist ein dunkler basischer Ergussgestein. Sie steht neben der Kunsthalle Osnabrück und stellt, wie der Name schon verrät, einen Mann dar, der gefesselt ist. Insgesamt schlingen sich drei Seile um seinen Körper. Der Mann beugt oder sitzt nicht sondern steht, aufgrund der Fesseln, mit gesenktem Blick. Was man noch erkennen kann ist, dass er barfuß ist und kein Hemd trägt. Dadurch werden die Knochen, Rippen und der flache Bauch des Gefesselten betont. Diese Figur steht auf einem etwa 1,50 m hohen Sockel mit der Inschrift: „Den Opfern für Wahrheit und Freiheit.“



Meiner Meinung nach hinterlässt die gesamte Statue einen seltsamen Eindruck. Mir kommen bei der Betrachtung widersprüchliche Gedanken in den Sinn. Senkt er den Blick, weil er traurig ist oder sich schuldig fühlt? Wurde er gefesselt, weil er ein Opfer oder ein Täter ist? Natürlich spricht auch einiges für die Rolle des „Opfers“, das zum Ausdruck gebracht werden soll. Beispielsweise entspricht die hemd- und schuhlose Darstellung mehr dem allgemeinen Bild eines "Opfers". Interessant ist jedoch, was laut dem Literaturtheoretiker Karl Heinz Bohrer für die Täterrolle spricht. Er ist der Meinung, dass man die Verschwörer des 20.Juli nicht als Helden, sondern als Täter sehen sollte. Dies begründet er damit, dass die Verschwörer z.B. keine jungen Studenten waren, sondern im Machtzentrum standen und von da aus am Umsturz arbeiteten. So wäre es ohne sie gar nicht erst zum Siegeszug durch Europa gekommen.
Was unsere offenen Fragen nun noch mehr belastet ist, dass seit Einweihung des Denkmals nicht nur der 20.Juli und der 17.Juni eine Rolle spielt, sondern noch viele andere Ereignisse. Darunter z.B. der Volkstrauertag am 13.11 oder der Tag der Befreiung für die homosexuellen Opfer vom Hitlerfaschismus. An diesen Tagen werden regelmäßig Kränze niedergelegt und es finden Gedenkreden statt.

Es gilt immer noch zu klären ob es überhaupt möglich ist zwei so unterschiedliche Ereignisse in einem Denkmal darzustellen, sodass beide in gleichem Maße gewürdigt werden. Allein die Tatsache, dass die Einweihung am 20. Jahrestag des 20.Juli stattfand, wirft die Frage auf, ob das nicht doch das bedeutendere Ereignis sei. Schließlich teilt man dem Ereignis so einen wichtigeren Grad zu. Und wenn man nun die Frage geklärt haben sollte, inwieweit beide Ereignisse gleich zu stellen sind, so wirft sich noch die Frage auf, weshalb die Stadt mit dem Denkmal noch so vielen anderen Ereignissen gedenkt.

Um all dem Hin und Her ein Ende zu machen, habe ich Kontakt zu mehreren Verbänden der Stadt Osnabrück aufgenommen. Zunächst konnte mir keiner richtig weiterhelfen. Der Fachbereich Kultur bewahrt seine Auftrags- und Rechnungsunterlagen nur 12 Jahren auf, weshalb man mir empfohlen hatte, Kontakt mit dem Landesarchiv aufzunehmen. Von der Mitarbeiterin wurde mir ein Link zum Onlinearchiv geschickt. Leider reichen die Aufnahmen im Onlinearchiv nur bis 1945 und da ich kein genaues Datum zum Ratsbeschluss finden konnte, blieb auch die Suche nach dem originalen Auftrag erfolglos

Da ich von der Stadt keine Antwort bekommen konnte, versuchte ich selber zu klären wie zwei so verschiedene Ereignisse Gründungsmotiv seien konnten.
Ich stellte mir die damalige Entscheidung der Stadt wie ein Becherglas vor. Jedes Ereignis füllt das Glas mehr und mehr. Irgendwann läuft es über. Dieses Überlaufen führte dazu, dass man tätig wird und ein Zeichen setzt. Ich bin mir jedoch nicht sicher, ob das Ereignis vom 20.Juli und das des 17.Juli aus derselben Substanz bestehen. Eher besteht eines aus Essig und das andere aus Öl. Sie lassen sich nicht leicht vermischen aber packt man sie auf einen Salat, so entsteht ein super Dressing. Der Vergleich scheint etwas weit daher geholt zu sein, aber anderes konnte ich mir das Zusammenführen zweier so verschiedenen Ereignisse nicht erklären. Jedes Ereignis steht für sich. Das Denkmal nimmt hier eine Art Schüsselfunktion ein. Man mischt/verbindet es immer wieder mit neuem Gemüse/Ereignissen. So ist es zu erklären, dass das Denkmal immer wieder für andere Ereignisse als Mahnmal der Stadt fungiert.

Wie genau die Vorstellung der Stadt war, ist schwer wieder zu spiegeln, genau so wie die Gedanken des Künstlers, der mittlerweile verstorben ist. Für mich steht es als ein Mahnmal, das allen Opfern gedenken soll. Weiterhin soll es vor Ereignissen, so wie sie in der Vergangenheit geschehen sind, mahnen. Als jemand, der wie die Studenten in meinem Experiment, über die Ereignisse nachdenken soll, wäre ich wohl nie auf diese Ereignisse gekommen.
 

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