Der
Gefesselte -„Den Opfern für Wahrheit und Freiheit“
Wahrheit
und Freiheit, zwei Begriffe, die sich sehr leicht verknüpfen lassen.
Wahrheit
steht für die Übereinstimmung der Wirklichkeit & Freiheit
beschreibt die Fähigkeit des Menschen aus eigenem Willen
Entscheidungen zu treffen. Nun werden sich meine und ihre Gedanken
mit Ereignissen füllen, die diese beiden Begriffe stützen. Doch was
wir schon ahnen können ist, dass unsere Gedanken eventuell nicht
übereinstimmen. Warum ist das so?
Diese
Begriffe sind beide so weit gefasst, dass jeder eigene Vorstellungen hat.
Wie
weit diese Vorstellungen reichen können, kann man durch ein leichtes
„Experiment“ zeigen. Ein Experiment, das ich mit Studenten
durchgeführt habe. Alle bekamen als Auftrag einen Zettel mit der Aufforderung: „Den Opfern für
Wahrheit und Freiheit“ ein Denkmal zu setzen. Schnell wurde offensichtlich, dass jeder sich etwas anderes darunter
vorstellt. Fraglich wurde grundlegend: Wem
soll den überhaupt gedacht werden?
Wie
ich diese Frage überhaupt beantworten soll, blieb unklar. Unklar, aufgrund der Tatsache, dass sich hinter diesem
Satz nicht nur ein Ereignis verbirgt. Es sind mehrere Ideen und Ereignisse, die
mit dem Denkmal zum Ausdruck gebracht werden soll. Um einen Schritt
weiter zu kommen, galt es die Ereignisse zu klären, die mit dem real existierenden Denkmal für die Opfer von Wahrheit und Freiheit zum Ausdruck gebracht werden sollen.
Zunächst
einmal soll sich das Denkmal auf die Ereignisse vom 20.Juli.1944
beziehen. Ein Tag, der in die deutsche Geschichte einging. Es war das
(gescheiterte) Attentat auf Adolf Hitler, auch bekannt unter dem
Namen Operation Walküre. An diesem Tag versuchten eine Handvoll
Offiziere, darunter Claus Schenk von Stauffenberg, Hitler durch eine
Bombe zu töten. Ziel der ganzen Aktion war es, Deutschland vom
Nationalsozialismus zu befreien. Wie schon erwähnt, scheiterte das
Attentat auf Hitler. Stattdessen folgte eine
unvorstellbare Grausamkeit, die gegen die Verschwörer und
(unschuldigen) Angehörigen ausgeübt wurde. Hierzu zählten Mord, Folter, Verfolgung und Vernichtung jedes Andenkens. Mit der Begründung: "...das
Blut ist schlecht, da ist Verräterblut drin, das wird ausgerottet“
wurden die Angehörigen ermordet. Darunter waren auch 52
Osnabrücker, die bei der Aktion „Gewitter“ verhaftet wurden. Nun
scheint es recht einfach das Denkmal mit dem Ereignis in Verbindung
zu setzten. Doch wie schon erwähnt war Anlass zur Entstehung nicht nur ein Ereignis.
Das
Zweite war der Arbeiteraufstand vom 17.Juni. 1953. Es
war nämlich so, dass in der ehemaligen DDR Unzufriedenheit
herrschte. Denn während es Westdeutschland recht gut ging, klagten
die Menschen der DDR über schlechte Arbeits- und Lebensbedingungen.
Mit der Erhöhung der Arbeitsnorm wurde das Maß voll und es kam zu
Demonstrationen und Streiks. Auch hier ließ die Vergeltung nicht
lange auf sich warten und es folgten, mit der Unterstützung von Russen,
Festnahmen, Verurteilungen und Ermordungen.
Dies
waren die zwei Hauptereignisse, die für die Entstehung eines Denkmals ausschlaggebend
waren. Zwei Ereignisse, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Wenn wir allein nur auf die Zeit schauen. Neun Jahre liegen auseinander. Die Umstände von
1944 und 1953 waren Welten voneinander entfernt. Während die einen
mit dem Nationalsozialismus zu kämpfen hatten, waren die
Lebensbedingungen bei den Anderen ein ausschlaggebender Faktor.
Doch
so sollte es sein. Basierend auf diesen Ereignissen hatte sich die Stadt
Osnabrück ein Denkmal vorgestellt. Obwohl die künstlerische
Umsetzung schwer erschien, gab es doch einen Künstler, der sich damit
auseinandersetzte. Dieser Künstler war Gerhard Marcks. Geboren am
18. Februar 1889 in Berlin und gestorben am 13.November 1981 zählte
er zu den bekanntesten deutschen Bildhauern und Grafikern. Wie viel
Potenzial man seiner Kunst zusprach, erkennt man daran, dass
er für die Olympischen Spiele 1972 in München die Rückseite der
Medaillen gestalten durfte.
Schon
einige Jahre bevor Marcks mit dem Auftrag konfrontiert wurde, wollte
man den Opfern von Diktaturen ein Denkmal setzen. Zur Verwirklichung
kam es jedoch nur einige Jahre später unter dem Eindruck des Mauerbaus.
1961 beriet sich der Stadtrat von Osnabrück, unter dem Thema, an
das geteilte Deutschland zu gedenken. Damit sollte die Zusammengehörigkeit der
Deutschen aufgezeigt werden. Es folgte der Beschluss:“In einer
Zeit brutaler Verletzung der Menschenwürde, durch staatliche Gewalt, beschließt der Rat der Stadt Osnabrück, das Andenken jener Männer
und Frauen zu ehren, die ihr Leben gaben im Aufstand gegen die
Verhöhnung des Rechts und die Unterdrückung der Freiheit.“
Weiterführend so heißt es sollte ein „ ...einfaches Mahnmal, das
der Bedeutung der Ereignisse entspricht ...“ errichtet werden.
Dieses
Mahnmal ist vom Bildhauer Gerhard Marcks und trägt den Namen „der
Gefesselte“. Es ist eine etwa 4,50 m hohe, 1,30 m
breite und 1,50 m tiefe Skulptur in Osnabrück. Sie wurde aus dem
Material Basalt gehauen. Dies ist ein dunkler basischer Ergussgestein. Sie steht neben der Kunsthalle Osnabrück und
stellt, wie der Name schon verrät, einen Mann dar, der gefesselt
ist. Insgesamt schlingen sich drei Seile um seinen Körper. Der Mann
beugt oder sitzt nicht sondern steht, aufgrund der Fesseln, mit gesenktem Blick.
Was man noch erkennen kann ist, dass er barfuß ist und kein Hemd
trägt. Dadurch werden die Knochen, Rippen und der flache Bauch des Gefesselten betont. Diese Figur
steht auf einem etwa 1,50 m hohen Sockel mit der Inschrift: „Den
Opfern für Wahrheit und Freiheit.“
Meiner Meinung nach hinterlässt die gesamte Statue einen seltsamen Eindruck. Mir kommen bei der Betrachtung widersprüchliche Gedanken in den Sinn. Senkt er den Blick, weil er traurig ist oder sich
schuldig fühlt? Wurde er gefesselt, weil er ein Opfer oder ein
Täter ist? Natürlich spricht auch einiges für die Rolle des „Opfers“, das zum Ausdruck gebracht werden soll. Beispielsweise entspricht die hemd- und schuhlose Darstellung mehr dem allgemeinen Bild eines "Opfers". Interessant ist jedoch, was laut dem Literaturtheoretiker Karl Heinz Bohrer für die Täterrolle spricht. Er ist der Meinung, dass man die
Verschwörer des 20.Juli nicht als Helden, sondern als Täter sehen
sollte. Dies begründet er damit, dass die Verschwörer z.B. keine
jungen Studenten waren, sondern im Machtzentrum standen und von da
aus am Umsturz arbeiteten. So wäre es ohne sie gar nicht erst zum
Siegeszug durch Europa gekommen.
Was
unsere offenen Fragen nun noch mehr belastet ist, dass seit
Einweihung des Denkmals nicht nur der 20.Juli und der 17.Juni eine Rolle spielt, sondern noch viele andere
Ereignisse. Darunter z.B. der Volkstrauertag am 13.11 oder der Tag der Befreiung für die homosexuellen Opfer vom Hitlerfaschismus. An diesen Tagen werden regelmäßig Kränze niedergelegt und es finden Gedenkreden statt.
Es
gilt immer noch zu klären ob es überhaupt möglich ist zwei so
unterschiedliche Ereignisse in einem Denkmal darzustellen, sodass beide in gleichem Maße gewürdigt werden. Allein die Tatsache, dass
die Einweihung am 20. Jahrestag des 20.Juli stattfand, wirft die Frage auf,
ob das nicht doch das bedeutendere Ereignis sei. Schließlich teilt
man dem Ereignis so einen wichtigeren Grad zu. Und wenn man nun die
Frage geklärt haben sollte, inwieweit beide Ereignisse gleich zu
stellen sind, so wirft sich noch die Frage auf, weshalb die Stadt mit
dem Denkmal noch so vielen anderen Ereignissen gedenkt.
Um
all dem Hin und Her ein Ende zu machen, habe ich Kontakt zu mehreren
Verbänden der Stadt Osnabrück aufgenommen. Zunächst konnte mir
keiner richtig weiterhelfen. Der Fachbereich Kultur bewahrt seine Auftrags- und
Rechnungsunterlagen nur 12 Jahren auf, weshalb man mir empfohlen hatte, Kontakt mit dem Landesarchiv aufzunehmen. Von der Mitarbeiterin wurde mir ein Link zum
Onlinearchiv geschickt. Leider reichen die Aufnahmen im Onlinearchiv
nur bis 1945 und da ich kein genaues Datum zum Ratsbeschluss finden konnte, blieb auch die Suche nach dem originalen Auftrag erfolglos
Da
ich von der Stadt keine Antwort bekommen konnte, versuchte ich selber zu
klären wie zwei so verschiedene Ereignisse Gründungsmotiv seien konnten.
Ich
stellte mir die damalige Entscheidung der Stadt wie ein Becherglas vor. Jedes
Ereignis füllt das Glas mehr und mehr. Irgendwann läuft es über.
Dieses Überlaufen führte dazu, dass man tätig wird und ein Zeichen setzt. Ich bin mir jedoch nicht sicher, ob das Ereignis vom
20.Juli und das des 17.Juli aus derselben Substanz bestehen.
Eher besteht eines aus Essig und das andere aus Öl. Sie lassen sich
nicht leicht vermischen aber packt man sie auf einen Salat, so
entsteht ein super Dressing. Der Vergleich scheint etwas weit daher
geholt zu sein, aber anderes konnte ich mir das Zusammenführen zweier
so verschiedenen Ereignisse nicht erklären. Jedes Ereignis steht für
sich. Das Denkmal nimmt hier eine Art Schüsselfunktion ein.
Man mischt/verbindet es immer wieder mit neuem Gemüse/Ereignissen.
So ist es zu erklären, dass das Denkmal immer wieder für andere
Ereignisse als Mahnmal der Stadt fungiert.
Wie
genau die Vorstellung der Stadt war, ist schwer wieder zu spiegeln,
genau so wie die Gedanken des Künstlers, der mittlerweile verstorben
ist. Für mich steht es als ein Mahnmal, das allen Opfern gedenken soll. Weiterhin soll es vor Ereignissen, so wie sie in der Vergangenheit
geschehen sind, mahnen. Als jemand, der wie die Studenten in
meinem Experiment, über die Ereignisse nachdenken soll, wäre ich wohl nie auf diese Ereignisse gekommen.
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